Wie heißt es so schön: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Bei mir starb die Hoffnung am Ende tatsächlich. Und zwar die Hoffnung, nach Indonesien reisen zu können. Oder genauer: eine Kaffeefahrt von Java nach Bali zu unternehmen. Nun, ich machte das Beste daraus und entwickelte den Plan B, eine einzigartige Kombination aus Giro, Tour und Vuelta. Und das Ganze unter den erschwerten Bedingungen von Corona.
Ich habe schon viele lange Radreisen unternommen. Und jede davon war etwas Besonderes – so wie auch diese. Nicht nur aufgrund der Situation, sondern auch, weil ich diese Reise unserem lieben Kollegen Holger aus dem Technischen Kundenservice von Paul Lange & Co. gewidmet habe, der den Kampf gegen den verdammten Krebs verloren hat. Holger, du bist auch immer so sehr gern Rad gefahren. Danke für die schönen Jahre und die vielen Bike Festivals, auf denen wir zusammen schraubten. Es war eine tolle Zeit mit dir!
Für die Hinfahrt hatte ich den Flixbus nach Genua (Italien) gebucht und zurück ging es per Flieger von Málaga nach Stuttgart. Mit dem Finger auf der Landkarte hatte ich die Route mit vielen Übernachtungspunkten geplant und war mir sicher, dass es landschaftlich und auch kulinarisch richtig schön werden würde.
Es geht los: Von Genua nach Nizza…
Von Stuttgart aus ging es in 15 Stunden mit dem Flixbus über Straßburg und die Schweiz nach Genua.
Von dort aus ging es am ersten Radtag nach Pietra Ligure und von da am nächsten Tag weiter nach San Remo. In der Gegend von San Remo bin ich sogar ein kleines Teilstück des berühmten Radklassikers Mailand – San Remo gefahren. Ich verliebte mich vom ersten Augenblick an in die Region Ligurien und mir war sofort klar, dass ich irgendwann wieder hierher kommen werde.
Eine lustige (digitale) Panne hatte ich, als ich merkte, dass ich eine Übernachtung in San Remo (USA) gebucht hatte und nicht am Zielort des Radklassikers in Italien. Ich sah die Hoteladresse und musste lachen – das hätte mal einen neuen Langestreckenrekord gegeben. Glücklicherweise fand ich noch ein Bett in San Remo am Mittelmeer und konnte die Übernachtung in den USA stornieren.
Am nächsten Morgen konnte ich im Garten des Hotels frühstücken – sehr nett, mit frischen Croissants, Cappuccino und Baguette, aber für meine Verhältnisse mit knapp unter zwanzig Grad noch etwas frisch.
Und das obwohl 8.30 Uhr im Vergleich zu meinen asiatischen Gewohnheiten sogar eher spät war.
Mein Giant Bike, von mir liebevoll Silberblitz genannt, rannte angesichts der wunderbaren Landschaft wie von selbst. Es gab nur einige vereinzelte Rennradfahrer, die ziemlich verbissen Gas gaben. Nicht mein Ding – ich wollte reisen, nicht rasen! Unglaublich, aber wahr: Trotz der Hauptferienzeit hatte ich die Küstenstraße fast für mich allein. Danke, Corona!
Italienisch-französischer Grenzübertritt
Der Grenzübertritt von Italien nach Frankreich verlief vollkommen problemlos. Die Grenzer wollten weder Papiere noch irgendwas mit Corona checken.
Nach etwas mehr als dreißig Kilometern war ich in Monaco, wasnicht so meinen Geschmack traf. Das ganze Schicki-Micki und Chi-Chi, das war nicht meins.
Als Entschädigung für die Stadt wurde die Landschaft immer schöner. Was für eine Freude, hier radeln zu dürfen. Das war Glück pur und ich genoss jeden Augenblick. Da wurde mir klar, dass mein Plan B durchaus auch zum Plan A taugte und der liebe Gott hier ein Paradies geschaffen hat. In Italien wie jetzt in Frankreich wurde mir nicht zuletzt beim Café bzw. Capuccino deutlich, dass Franzosen und Italiener Genussmenschen sind, die das Leben lieben. #metoo!
Ein bezahlbares Zimmer in den Nobelorten und Touristenhochburgen Saint Tropez oder Nizza zu finden, war nicht einfach, aber lösbar. Ich sehe nicht ein, mehr als 100 Euro für acht Stunden Schlaf auszugeben.
Da habe ich nicht nur wegen meiner günstigen asiatischen Erfahrungen andere Präferenzen. Menschliche Begegnungen sind mir wichtiger. Zum Beispiel mit der Hotelwirtin Trai in Nizza, die übers ganze Gesicht strahlte, als ich ihr erzählte, dass mich meine erste große Radreise in ihr Heimatland Vietnam geführt hat.
Den traumhaft langen Stadtstrand von Nizza, der mich etwas an Tel Aviv erinnerte, lief ich mit meinem obligatorischen zweiten Paar „Schuhe“, den geliebten Flip-Flops ab.
Die Strandpromenade wurde an neuralgischen Punkten durch hydraulische Poller gesichert, nachdem hier 2016 der schwere Anschlag mit dem Truck passiert ist. Abends taten mir die Beine weh – nicht vom Radeln, sondern vom Gehen mit den Badelatschen.
Es geht weiter: Von Nizza nach Cogolin bei St. Tropez
Es sollten heute 125 Kilometer werden, bis ich ein Bett bekam. Und zum Schluss war ich stehend platt, vom ständigen Auf und Ab, das von atemberaubenden Ausblicken versüßt wurde. Etwa vierzig Kilometer nach Nizza erreichte ich in den Nationalpark „La Estrelle“, der von beindruckenden roten Felsformationen geprägt ist.
Auf dem guten Radweg parallel zur Küstenstraße und angesichts der wunderschönen Architektur der Häuser, bei denen das Geld wohl oft keine Rolle gespielt hat, vergisst man die Anstrengungen.
Heute traf ich auch einige Reiseradler meines Kalibers, die aber meiner Ansicht nach ihren halben Hausstand dabei hatten. Okay, ich nehme wirklich extrem wenig mit – die Kunst liegt im Weglassen. Das lernt man am Berg zu schätzen und ich vermisse nichts.
Die Sonne gab heute wieder ihr bestes, weshalb ich nicht mit Sonnencreme sparte.
Danke an Patrice aus meiner Schwimmbad-Clique, der mir den Hoteltipp für Cogolin gab. Das Hotel war superschön und mit sehr viel Liebe und viel Geschmack eingerichtet.
Natürlich musste ich noch die berühmte Gendarmerie meines Schauspieler-Idols Louis de Funès („Nein, doch, oh…“, man erinnert sich) sehen.
Ich liebe seine Filme immer noch und freute mich, auch heute noch etliche Exemplare des 2CV, des legendären „Deux cheveaux“ zu sehen, des Autos, das einfach nicht umkippt. Den Abend genoss ich im bezaubernden, kleinen Saint-Tropez, das Corona zum Trotz gut besucht war.
Als kleiner Bub hätte ich es mir nie träumen lassen, mal in die Stadt meines französischen Filmhelden reisen zu können. Damals wohnte ich in der DDRund konnte von Grenzöffnung nur träumen.
Insofern war für mich die Einschränkung der Reisefreiheit der größte Alptraum mit Corona. Das wollte ich nie wieder erleben müssen. Ich war 21 Jahre jung und saß, wie es in dieser Zeit hieß, wegen Republikflucht ein langes Jahr im Gefängnis. Einfach nur, weil ich schon damals die Welt bereisen wollte.
Es war und ist mein Traum, den ich einfach nur leben möchte. Deshalb bangte ich so sehr, dass Frankreich die Grenzen zu Spanien wieder dicht machen könnte.
Kurz: ich dachte sogar darüber nach, umzudrehen und am Mittelmeer entlang und dann weiter durch die Alpen zurück nach Esslingen zu fahren. Zum Glück habe ich den Gedanken bald wieder verworfen und bin weiter in Richtung Málaga geradelt.
Nächstes Ziel: Marseille
In Marseille angekommen, saß ich in der Nachmittagssonne an der Hafenausfahrt und war einfach nur glücklich. Nicht zuletzt deshalb, weil ich nach fast zwei Stunden noch ein kleines Hotel gleich beim Hafen gefunden hatte.
Dort genoss ich das geschäftige Treiben dieser Metropole, die ein Schmelztiegel an Nationalitäten mit ihren Kulturen ist.
Schlechte Nachrichten aus der Welt
Als ich nach einer Woche wieder einmal Nachrichten schaute, erfuhr ich von der furchtbaren Explosion in Beirut. Ich war schon sechs Mal in Israel und Beirut stand immer auf meiner Wunschliste. In Palästina habe ich gesehen, wie sehr sich die Menschen dort über Besucher bzw. Touristen freuen, die sich ein eigenes Bild vor Ort machen.
Zum Glück konnte ich meine Trauer über diese Katastrophe auf meinem Silberblitz etwas wegkurbeln. Dabei musste ich im Straßen-Labyrinth von Marseille sehr viel mit Google Maps navigieren.
Da half mir der gutgemeinte Rat meines Außendienstkollegen „Ralle“ nicht viel weiter.
Der meinte: „Das Meer muss immer links von dir in Fahrtrichtung sein, die Berge rechts und dazwischen du und dein Silberblitz. Das schaffst du auch mit fünf Glas Rotwein!“
Nun, immerhin war der Rotwein lecker.
Endlich geht es nach Spanien!
Nach Marseille folgten Etappen nach Remoulins, von dort nach Narbonne und dann zur spanischen Grenze. Die letzte Stadt in Frankreich vor dem Grenzübertritt war Perpignan. In Spanien angekommen, ging es über Tossa de Mar an der Küste nach Barcelona. Und von dort immer weiter bis nach Valencia, wo ich erstmals einen Ruhetag einlegte.
In Valencia lief ich gefühlt 165 Kilometer durch die Stadt, bis meine Füße förmlich nach einer Massage schrien. Das Frühstück mit leckerem Café con leche und Köstlichkeiten aus der großen Markthalle verlagerte ich an diesem Tag auf die Straße.
Was gibt es Besseres als eine große Schale spanischer Erdbeeren und Pfirsiche – in Spanien? Die sind meine Urlaubsfrüchte 2020, weshalb ich auf der Tour schon einige Kilos davon verdrückt habe.
So wurde der Marktbesuch am Morgen zum wundervollen Einstieg in den Tag. So sehr ich die Märkte in Asien liebe, sind diese natürlich kein Vergleich mit diesem hier. Ich hätte an jedem Stand etwas kaufen und essen können.
Natürlich gab es auch ein großes Glas Orangensaft von den zuckersüßen Valencinas. Auf den Straßen war am Vormittag noch nicht viel los, aber mir sollte es recht sein. Die Temperaturen stiegen recht zügig, kurz nach elf hatte es schon 37 °C und zum Glück wehte immer ein leichter Wind vom Meer, der den Tag dennoch angenehm machte.
Das moderne Valencia
Was für ein Kontrast zwischen dem alten pittoresken Valencia mit seinen schmalen Gässchen und dem anderen, dem modernen Valencia.
Ein Kontrast, der mir schier die Sprache verschlug. Auch moderne Architektur kann Wundervolles erschaffen, weshalb ich bestimmt zwei Stunden die Formensprache genoss, die durch das Meer noch verstärkt wurde.
Apropos Meer – am frühen Nachmittag lief ich noch ein stolzes Stück am Stadtstrand entlang. Rund vier Kilometer nur, aber was für schöne! Gut zu sehen, dass die Besucher sehr sorgfältig Abstand gehalten haben. Nach meiner Erfahrung haben sich die Menschen in allen drei Ländern sehr diszipliniert verhalten.
Die Spanier sind wahrlich keine Frühaufsteher. Kein Wunder, wenn sie am Abend erst so spät Essen gehen. Da stehen meist ordentliche Portionen auf dem Tisch, da hätte ich am Morgen auch noch entsprechende Bettschwere.
Aber ein kleines bisschen passte ich mich dann doch an die lokalen Gegebenheiten an und stieg auch erst um halb acht aus den Federn. Statt Hotelfrühstück zapfte ich mir im Supermarkt frisch gepressten Orangensaft in die Mehrwegflasche. Dazu gab es jede Menge Joghurt und Obst. So lässt es sich leben.
Fast wie in den USA
Draußen begrüßte mich ein strahlend blauer Himmel – was für ein Start in den Tag, an dem ich rund achtzig Kilometer strampelte.
Es gab wieder jede Menge Berge in der typischen andalusischen Landschaft. Die wenigen Menschen, die genauso früh unterwegs waren wie ich, waren andere Radfahrer – außer Spaniern vor allem zahlreiche Engländer. Heute durchquerte ich den Parque Natural del Cabo de Gata-Nijar.
Die schier unendlichen Weiten mit der Straße, die am Horizont kein Ende nehmen wollte, vermittelte mir teilweise das Gefühl, in den USA zu sein. Da war heute wieder mehr der Kopf gefragt, beziehungsweise die mentale Stärke. Wobei ich mich immer sehr gut durch die Schönheit der Landschaft ablenken kann, die mich gleichzeitig motiviert.
An einem Mirador, einem schönen Aussichtspunkt, kam ich mit einem spanischen Motorradfahrer ins Gespräch. Angesichts meines minimalistischen Gepäcks, konnte er gar nicht glauben, was ich alles NICHT dabei hatte.
Im weiteren Verlauf folgte ich dem „EuroVelo Mediterranean“ Radweg von San José bis nach Almeria und kurbelte entweder mit dem Silberblitz von Mirador zu Mirador hoch oder eroberte diese – wie in Almeria – auch mal zu Fuß.
Bei meinem Silberblitz musste ich mich an diesem Tag ganz besonders für dessen Offroad-Qualitäten bedanken. Zwar legte ich nur 50 Kilometer zurück, es fühlte sich aber eher an wie 200.
Die bisher vielleicht schönste Tagesetappe kam mir dennoch so vor, als wären Ostern und Weihnachten zusammengefallen. Ich genoss den wundervollen Blick vom Mirador San Christobal, dem wohl höchsten Punkt in Almeria. Die Ruhe und die Aussicht auf die Stadt waren einzigartig. Ich war so glücklich, das letzte Stück durch den Parque Natural noch so gut geschafft zu haben. Denn neunzig Prozent der Strecke waren Offroad.
Kein Wunder, dass eigentlich nur Mountainbiker unterwegs waren. An sich ist mein Giant ein Gravelbike (Schotterfahrrad), jedoch in Verbindung mit den Schwalbe Marathon Supreme Reifen eher für Asphalt geeignet. Der gute Gummi musste heute wirklich viel wegstecken und tat mir richtig leid.
Am letzten Radtag nach Málaga, grüßte mich noch einmal „El Torro“ von einem Berg. Bestimmt wollte er mir ein freundliches „Adiós“ zurufen. Die Strecke führte wieder traumhaft schön – wenn auch ständig bergauf und bergab – direkt am Meer entlang.
Lieber Holger, ich habe dir diesen Mittelmeer-Trip gewidmet und bin nach knapp 2.500 Kilometern wohlbehalten in Málaga auf dem Castillo, dem höchsten Punkt der Stadt, angekommen. Schön, dass du mich begleitet hast – und danke meinen beiden Schutzengeln!
Ein Dank gilt aber auch dem Radkurier, der mir im Gegensatz zu Google Maps, den richtigen Weg zu dem Fahrradladen zeigte, in dem ich schon meinen Fahrradkarton für den Rückflug am Montag reserviert hatte.
Ich machte mir noch zwei schöne Tage in Málaga, dann aber freute ich mich auf zu Hause. Wie immer habe ich die letzte Nacht vor der Abreise unruhig geschlafen. Dieses Mal kam noch die Aufregung wegen des Corona Tests dazu, aber auch diese letzte Herausforderung brachte ich gut hinter mich.
Abschließend möchte ich „Grazie“, „Merci“ und „Gracias“ sagen. „Ciao“, „Au revoir“ und „Adiós“. Und denkt dran, Lachen und gute Laune sind zwar ansteckend, machen aber gesund statt krank.
Heinz says
Hallo,
zunächst vielen Dank für den schönen Bericht.
Wir werden im September durch Andalusien radeln und von Malaga aus zurück fliegen. Darf ich fragen, wo du die Verpackung in Malaga bekommen hast?
Danke vorab und viele Grüße aus Köln
Marie says
Hi Thomas, danke für deinen Bericht! Irgendwie lustig, wir kommen auch aus Esslingen 😀
Mein Freund und ich würden die Route (zumindest bis nach Montpellier) gerne im Sommer fahren. Noch sind wir etwas unentschlossen wegen des Tourismus auf der Strecke.
In anderen Berichten hatte ich von für Fahrradfahrer gesperrte Tunnel bei Genuagelesen. Hattest du damit keine Probleme?
Danke und liebe Grüße
Marie
Bernd says
Was ist das für eine Fahrrad ?
Sebastian Rose says
Hallo Bernd,
wir haben bei Thomas nachgefragt: Es ist GIANT ToughRoad SLR 0, Modelljahr 2017, und wird von ihm liebevoll „Silberblitz“ genannt.
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian Rose
(Paul Lange & Co.)
Thomas Dziallas says
Hey Sarah,
Danke das Dir mein Bericht gefällt. Den Karton für den Rückflug habe ich bei bike2malaga geholt ganz in der Nähe der tollen Markthalle.
http://www.bike2malaga.com
LG Thomas
Sarah says
Spannender Bericht. Darf ich fragen, wo du die Fahrradkarton für den Rückflug in Malaga reserviert hast ? 🙂
danke und liebe Grüsse
sarah