Viel wurde geschrieben vom Radfahren in Zeiten von Corona. Lieferengpässe von Fahrrädern und Teilen sind gang und gäbe, man solle eine acht Meter lange „Aerosolschleppe“ kalkulieren, wenn man hintereinander fährt und die sogenannten Pop-up Bikelanes, d.h. kurzfristig und häufig nur vorübergehend eingerichtete Fahrradwege waren in aller Munde. Von all dem möchte ich nicht schreiben.
Mein Thema ist: Wie fährt es sich mit so vielen Radfahrern auf der bestehenden, d.h. „historisch gewachsenen“ Radinfrastruktur? Nach meiner Beobachtung, und da bin nicht ganz allein, fahren viel mehr Menschen Fahrrad als in der Vor-Corona-Zeit.
Ob die Menschen auf dem Fahrrad dem Homeoffice oder dem öffentlichen Verkehr entfliehen wollen, die Corona-Pfunde schmelzen lassen wollen oder das urbane Lebensgefühl auf zwei Rädern hip finden – egal, die Steigerungen im Radverkehr und im Fahrradtourismus sind augenfällig.

Dazu gehören ganz auffällig viele junge Familien mit Kindern, von denen das ältere einigermaßen fahren kann und das jüngere vielleicht noch mit einem Laufrad übt. Dazu kommen ältere Menschen auf Pedelecs, die das Zweirad mal besser mal schlechter beherrschen.
Mittendrin statt nur dabei sind die fitnessorientierten Renner, die gar nicht verstehen können oder wollen (?), wie man so langsam fahren kann. Immer öfter schlängeln sich Lastenräder durch das Gewühl – mal als Zwei-, mal als Dreirad – mal als Kinder-, mal als Lastentransporter. Besonders die Dreiräder mutieren zu Slalomkünstlern, um auf den Wegen voranzukommen. Und zu guter Letzt erfährt der gute alte Fahrradanhänger eine Renaissance, mal mit Kind und immer häufiger mit Hund.
Die ganze Gemengelage findet auf der bestehenden Infrastruktur statt, die schon länger an ihre quantitativen wie auch qualitativen Grenzen stößt. Wer sich auch nur ein bisschen mit Verkehrsplanung beschäftigt weiß, dass von der Idee bis zur Realisierung ganz leicht 10 oder mehr Jahre vergehen. Das bedeutet eben auch, dass jetzt realisierte Projekte auf vollkommen veralteten Daten basieren, die dem aktuellen Ansturm in keiner Weise gewachsen sind. Vor zehn Jahren hat kein Verkehrsplaner auch nur einen Gedanken an Lastenräder verschwendet – schon gar nicht daran, wo sie parken können. So weit so schlecht.
Zu diesen wenig ermunternden harten Fakten gesellt sich der weiche Faktor Mensch dazu. In dessen Natur scheint zu stecken, überwiegend solche Locations oder Strecken aufzusuchen, die sowieso schon stark frequentiert sind oder waren und die dem zusätzlichen Ansturm freizeitorientierter Ausflügler oder Pendler in keiner Weise gewachsen sind.
So prallen viele Radfahrer unterschiedlichster Couleur auf zu geringem Raum aufeinander. Die Verkehrswende, bei der dem Fahrrad zu Lasten des Autos mehr Raum zugesprochen werden soll, lässt grüßen. Man munkelt, der Radverkehr sei (auch?) ein Spiegelbild der verrohenden (Ellbogen-)Gesellschaft. Als Nicht-Psychologe möchte ich mich nicht an den Spekulationen über die Richtigkeit dieser These beteiligen, konstatiere aber, dass ich stark damit sympathisiere.


Das „Mimimi“, d.h. die Vielzahl von Beschwerden über die verschiedensten Konflikte, an denen Radfahrer beteiligt sind, sprechen Bände. Ich teile das, sollen doch Radfahrer nicht auf der Straße fahren, auf dem Fußweg auch nicht und die bestehenden Radwege sind, milde gesagt, suboptimal. Kein Wunder, dass sich Radler häufig ihre eigene Art der Mobilität schaffen, die mit der Gesetzgebung öfter nicht ganz konform geht.
Verkehrsminister Scheuer, den meisten eher als Autominister bekannt, will den Neukauf teurer E-Bikes fördern und damit den Radverkehr bis 2030 verdoppeln. Damit die irgendwo auch fahren können, investiert Scheuer die Rekordsumme von knapp 1.5 Milliarden Euro in den Ausbau der Radinfrastruktur.

Mehr Fahrräder sind gut, Leidtragende aber sind häufig Fußgänger, die sozusagen das Ende der „Nahrungskette“ in der Verkehrshierarchie darstellen. Aber gemach, ob die Verdoppelung so schnell kommt ist fraglich. Das Geld ist da, der Wille es auszugeben meist auch, leider fehlt es allerorten an kompetenten Verkehrsplanern, an Baufirmen und vor allem an zügigen Planungsverfahren. Gut Ding braucht Weile!
Die jahrzehntelange autozentrierte Verkehrspolitik lässt sich nun mal nicht so schnell verändern. Das größte Hindernis dabei dürften die Gewohnheiten, die liebgewordenen Bequemlichkeiten und vor allem die Angst vor Veränderungen sein. Was ist bis dahin die Lösung für die vielen Verkehrsteilnehmer auf dem sehr begrenzten Raum? Ganz einfach und doch so schwer: RÜCKSICHT!
Alle Verkehrsteilnehmer müssen untereinander mehr Rücksicht üben – jeder gegenüber jedem! Ein anderes Mittel sehe ich nicht. Sie?
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