Extremsportler Guido Kunze hat die Mongolei von West nach Ost in weniger als sechs Tagen mit dem Fahrrad durchquert und damit einen Rekord für das Guinness-Buch der Rekorde aufgestellt. Aber mittlerweile geht es einem der verrücktesten Typen der Szene um viel mehr als um sportliche Höchstleistungen.
Die mongolische Hauptstadt Ulaanbaatar steht Kopf. Nur wenige Meter vom Parlamentsgebäude, wo die übergroße Dschingis-Khan-Statue normalerweise alle Blicke auf sich zieht, stiehlt ein hagerer Mitteleuropäer dem monströsen mongolischen Nationalhelden die Show. Vorübergehend zumindest.
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In der Mongolei gefeiert wie ein Superstar…
Guido Kunze wird hier gefeiert wie ein Superstar. Zu Hause in Deutschland nehmen nicht allzu viele Notiz von einem, der sich aufmacht, das riesige Land in Zentralasien von West nach Ost mit dem Fahrrad zu durchqueren, um damit einen Rekord fürs Guinness-Buch zu setzen. Aber hier ist das eine Sensation.
Mikrofone, Kameras und begeisterte Blicke von Schaulustigen richten sich auf ihn, obwohl er eigentlich nur eines möchte: so schnell wie möglich von der russischen Grenze an sein selbst gestecktes Ziel zu kommen, das kurz vor der chinesischen Grenze liegt.

Warum Guido Kunze ins Guiness Buch der Rekorde möchte
Vier Tage zuvor: Guido Kunze sitzt entspannt und gut gelaunt in dem umgebauten Reisebus, der ihn neben zwei Transportern für die kommenden Tage begleiten wird – und seiner Frau, seinen beiden Söhnen und dem Rest der insgesamt 13-köpfigen Crew ein Dach über den Köpfen bietet. Dass er diesen Weg durch die unfassbaren Weiten der Mongolei bald mit dem Fahrrad zurückfahren wird, ohne dabei über Stunden auch nur einer Menschenseele zu begegnen, bereitet ihm nur wenig Kopfzerbrechen. Eigentlich hat er nur eines im Sinn: dass es jetzt endlich losgeht.
Ein Jahr lang hat er sich so akribisch wie es nur geht für dieses Projekt vorbereitet, das aus seiner Perspektive fast schon wie ein Kinderspiel aussieht. Ein bisschen mehr als 2.000 Kilometer scheinen für einen, der zu den erfahrendsten Typen der Extremsportszene zählt, keine allzu große Herausforderung zu sein.

Für einen, der 2006 das Race Across America als vierter Deutscher überhaupt solo bezwungen hat. Für einen, der nach 217 Laufkilometern bei brütender Hitze den Badwater Marathon durchs Death Valley überlebt hat. Und für einen, der in 24 Stunden 61.100 Rolltreppenstufen hochgerannt ist, was ihm einen von bislang drei Einträgen ins Guinness-Buch beschert hat.
„Ich mache das alles eigentlich nur für mich“, sagt er in seiner sympathischen Bescheidenheit. Und weil er eher ein Mann der großen Taten als der großen Töne ist, entstand auch die Partnerschaft zu Paul Lange eher zufällig. 2009, als Paul-Lange-Außendienstler Alfons Frankl auf der Hausmesse von Guidos Radsponsor Ghost gerade die DURA-ACE Di2 vorstellte, erzählte ihm der Extremsportler, dass er gerade auf dem Sprung nach Australien ist, um dort nonstop von Sydney nach Perth einen Weltrekord zu knacken.
Dass Guido dabei die nagelneue elektronische Schaltgruppe fahren sollte, war ziemlich schnell ausgemachte Sache. „Ich war schon immer SHIMANO-affin“, sagt Guido Kunze im Rückblick. Aber diese Begegnung war der Beginn einer langen Partnerschaft, die sich über all die Jahre zu einer vertrauensvollen Freundschaft entwickelte – auch weil Guido auf all seinen Projekten noch nie mit technischen Problemen zu kämpfen hatte.
Seine Ersatzteilliste für die Mongolei könnte deshalb kürzer kaum sein: ein Paar Bremsbeläge, ein Schaltzug und ein Kettenschloss.

Vertrauen ins Material & spektakuläre Landschaften
Guido Kunzes Vertrauen ins Material, aber auch in sich selbst, ist grenzenlos, als er in Borshoo Somon an der russischen Grenze losfährt. Die Weite der Landschaft ist atemberaubend.
Er fährt unter einem spektakulären Doppelregenbogen durch, als am Straßenrand eine Herde Kamele neugierig zuschaut. Während einer Mittagspause segnet eine Frau in Tracht nach alter Tradition seine Reifen, indem sie Milch darauf tröpfelt. Aber nur wenig später scheint auch das nicht mehr zu helfen.
Nach genau 30 Stunden und 606 Kilometern quasi nonstop steigt Guido völlig entkräftet vom Rad. „Ich fahr keinen Meter mehr“, sagt er, als er von heftigen Magenproblemen geplagt wird und sich mehrmals übergeben muss. Die Stirn seiner Frau Gaby, die ihn wie immer mit den gemeinsamen Söhnen Marvin und Melvin begleitet, ist überzogen von Sorgenfalten.
Es scheint vorbei zu sein, bevor es eigentlich so richtig angefangen hat. Von wegen Kinderspiel!

Guido gibt nicht auf!
Guidos Zustand ist derweil so miserabel, dass er alles, was er zu sich nimmt, sofort wieder von sich geben muss. Dabei bräuchte er doch so viel Energie, um sich irgendwie nach ein paar Stunden Schlaf wieder auf den Sattel schwingen zu können. Als die Sonne aufgeht schaut er mit leerem Blick aus dem Fenster und sagt: „Ich fahre weiter.“
Wer ihn beobachtet, würde keinen Pfifferling mehr auf ihn setzen. Nach wie vor plagen ihn Darmkrämpfe und Durchfall. Aber wenigstens muss er sich nicht mehr übergeben und gönnt sich fast so etwas wie einen Ruhetag. Mit „nur“ 200 Kilometern, deutlich langsamer als geplant.
„Ich kann hier nicht aufgeben“, sagt Guido in den kurzen Pausen, die er macht. Er lässt sich tragen von der Unterstützung, die er bislang hier überall erfahren hat und von seiner riesigen Erfahrung, mit der er schon etliche Krisen überstanden hat. Loser Schotter, tiefe Schlaglöcher und sogar für Autos fast zu steile Pisten rauben ihm aber weiter wertvolle Energie.
Er ist in den Bergen angekommen und kämpft sich immer weiter.

Es geht durch die Hauptstadt der Mongolei: Durch Ulaanbaatar
Vier Tage und fast 1.500 Kilometer ist Guido Kunze unterwegs, als er, eskortiert von der Polizei, durch die Hauptstadt Ulaanbaatar fährt. Dort wird er empfangen, als wäre er schon im Ziel. Für den Extremsportler ist das zwar eine willkommene Abwechslung. Aber er weiß genau, dass er bis dahin noch kämpfen muss.
„Du musst weiterfahren, auch wenn du Schmerzen hast“, sagt er, „das ist die mentale Stärke, die du brauchst.“ Und auch wenn die Schultern verspannt sind, die Hände einschlafen und die Sitzknochen drücken – Guidos fröhliches Gemüt können sie nicht beeinträchtigen. Als er in einer kurzen Pause bemerkt, dass eine Schiebetür im Begleitfahrzeug quietscht, schnappt er sich trotz aller Schmerzen schnell eine Dose Sprühöl. Läuft wieder.
Aber er wird immer müder und müder. Seinen Magen-Darm-Infekt hat er zwar überwunden, aber die Zeit, die er verloren hat, will er aufholen. Stück für Stück. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Er gönnt sich kaum noch eine Minute Schlaf.
Einem Filmteam gibt er unterwegs ein aussagekräftiges Interview. „Wie lange bist du heute Nacht gefahren?“ „Das weiß ich nicht.“ „Wie lange bist du insgesamt schon unterwegs?“ „Das weiß ich auch nicht.“ „Und wie lange ist es noch ins Ziel?“ „Das weiß ich auch nicht.“

Endlich im Ziel in Baruun-Urt im Osten der Mongolei
Als Guido Kunze in Baruun-Urt nach fünf Tagen, 21 Stunden und 59 Minuten ankommt, hat er genau 2.060 Kilometer und 27.100 Höhenmeter auf dem Tacho. „Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn ich es nicht geschafft hätte“, sagt er erleichtert und streckt voller Zufriedenheit seine Faust in den mongolischen Sommerhimmel.
Wer ihn beobachtet, sieht nämlich genau, dass er all das eben nicht nur für sich alleine macht. Mag sein, dass der sportliche Ehrgeiz über all die Jahre in den Hintergrund getreten ist.
Aber Guido Kunze sagt selbst: „Die mediale Aufmerksamkeit meiner Projekte möchte ich nutzen, um auch etwas zu bewirken.“ Alles, was er mit dem Fahrrad macht, hat mittlerweile einen sozialen Hintergrund. Und bei all dem, was er sich selbst an Schmerzen zufügt, weiß er genau: „Es gibt Millionen von Menschen auf der Welt, die liebend gerne mit meinen Schmerzen tauschen würden.“

Die nächsten Projekte sind schon in Planung
In diesem Bewusstsein hat er längst die nächsten Projekte in Planung. Eines davon wird ihn 2024 nach Ghana führen, wo er die Fernanda-Lange-School, die 2020 fertig gestellt wurde, unterstützen will.
„Wie genau, das planen wir zusammen mit Paul Lange in den nächsten Monaten“, will er noch nicht zu viel verraten. Aber es ist ziemlich sicher, dass die Vitrine im Museum in der Paul-Lange-Zentrale, die Guido Kunzes Erfolge dokumentiert, sich auch in Zukunft immer weiter füllen wird.
In dieser Vitrine befindet sich übrigens auch Guidos erste DURA-ACE Di2 von 2009. Nach insgesamt 60.000 Kilometern gab Guido Kunze sie an Bernhard Lange zusammen mit einer Urkundenkopie des Weltrekords in Australien zurück.
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